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* 20. Oktober 1895 in Paderborn † 8. August 1971 in Eppstein-Vockenhausen
Die aus Paderborn stammende Künstlerin war mit ihren Bildcollagen eine Pionierin der klassischen Moderne. Sie war zudem Fotografin und Dokumentarfilmerin. Lange Zeit lebte und wirkte sie mit ihrem Mann, dem Künstler Robert Michel, und den Kindern in der Vockenhäuser Schmelz.
Ella Bergmann-Michel, Tochter eines Drogisten in Paderborn, studierte ab 1914 an der Großherzoglichen Sächsischen Hochschule für Bildende Künste in Weimar. In der Zeichenklasse traf sie den aus Vockenhausen stammenden Robert Michel. Gemeinsam suchten sie nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, verließen die Hochschule und arbeiteten freischaffend in eigenen Ateliers. Ella fertigte Holzschnitte, Zeichnungen und Collagen. In der Künstlergruppe um den Weimarer Johannes Molzahn trafen sie Kurt Schwitters und den Dadaisten Johannes Baader und entwickelten neue, revolutionäre künstlerische Möglichkeiten.
1919 heiratete sie Robert Michel. Walter Gropius stellte die Collagen des Künstlerpaares im Weimarer Bauhaus aus. Für kurze Zeit arbeiteten sie am Weimarer Bauhaus, aber der Lehrbetrieb erschien ihnen zu akademisch. 1920 kam der Sohn Hans zur Welt. Im gleichen Jahr verließen sie Weimar und zogen „weg in die Praxis“, wie Robert Michel sich erinnerte. Neuer Wohnort fern von Weimar war die Schmelzmühle der Familie Michel in Eppstein-Vockenhausen. Das um 1800 erbaute Wohnhaus mit Krüppelwalmdach und eine Scheune sind heute noch erhalten.
Die ehemalige Schmelzmühle wurde zum Wohnsitz und Atelier. Das Künstlerpaar konnte hier finanziell unabhängig leben und wirken. Von Vorteil war die Nähe zum Bahnhof und die gute Erreichbarkeit Frankfurts und Wiesbadens mit dem Zug.
In der Abgeschiedenheit war Ella von Tieren und Natur umgeben. Sie zeichnete jetzt überwiegend Motive mit Naturelementen, vielfach Fische, aber auch vegetative, abstrakt surreale Werke. 1922 änderte sich ihr Stil, es entstanden nun konstruktivistische Tuschezeichnungen und die Prismenbilder, und sie beteiligte sich an Ausstellungen in Wiesbaden und Frankfurt.
1927 kam Tochter Ella, genannt Putzi, zur Welt. In den Nebengebäuden der Schmelz ging der Betrieb der Farbenfabrik, später auch einer Lederfabrik weiter. Gleichzeitig wurde die Schmelz zu einem Treffpunkt der künstlerischen Avantgarde. Kurt Schwitters, El Lissitzky, László Moholy-Nagy, Jan Tschichold oder Willi Baumeister waren hier gerne zu Gast, genossen das Landleben und den Austausch mit dem Künstlerpaar.
Ella nahm jetzt an Ausstellungen in Berlin und Mannheim teil. Sie beschäftigte sich jetzt intensiv mit der Fotografie und freundete sich mit der Fotografin Marta Hoepffner an. Der Kontakt mit der Regisseurin Asja Lacis und den Regisseuren Dziga Vertov und Joris Ivens weckte ihr Interesse am Dokumentarfilm.
1929 eröffnete Ella ein eigenes Studio in Frankfurt. In ihren fotografischen Arbeiten untersuchte sie die Sozialverhältnisse sowie die Arbeits- und Wohnsituation in Frankfurt. Mit Paul Seligmann gründete sie dort eine Ortsgruppe der Liga für den unabhängigen Dokumentarfilm. Aus ersten Kontakten zur Fotografin Ilse Bings entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft.
Ella Bergmann-Michel wurde auch als Fotografin und Dokumentarfilmerin berühmt.
Sie arbeite ab 1930 im Bund Das Neue Frankfurt mit. Der Bau eines neuen Altersheims, entworfen von Werner Moser im Bund Das Neue Frankfurt, inspirierte sie zu dem Dokumentarfilm „Wo wohnen alte Leute“. Weitere Filme folgten: „Erwerbslose kochen für Erwerbslose“, „Fliegende Händler“, „Fischfang in der Rhön“. Einen Dokumentarfilm über die Reichtagswahlen im November 1932 in Frankfurt mit der Propaganda der Nationalsozialisten konnte sie nicht fertig stellen, da sie während der Dreharbeiten kurzfristig verhaftet wurde.
1933 löste sie ihr Atelier in Frankfurt auf und brach die künstlerische Tätigkeit nach außen ab. Bis Kriegsausbruch konnte sie einige Monate in London arbeiten und für britische Firmen Werbegraphiken entwerfen. Die Zeichnungen dieser Zeit kommentierten das politische Geschehen in der Heimat. Während des Krieges widmete sie sich mit ihrem Mann in Vockenhausen der Forellen- und Kleintierzucht. Dass sie als Künstlerin untertauchen musste und nicht mehr an Ausstellungen teilnehmen durfte, verarbeitete sie in den „Unterwasserbildern“. Während des Krieges zeichnete sie gegenständlich. Das Tagebuch „Briefe in die Nacht“ entstand.
Die fotografische und filmische Tätigkeit nahm Ella nach dem Krieg nicht mehr auf. In Frankfurt leitete sie das Film-Studio, später Film-Club Frankfurt/M.
Mit Robert beteiligte sie sich erstmals wieder an Ausstellungen in den USA, daneben hielt sie Vorträge über moderne Kunst. Jetzt ergaben sich auch wieder Kontakte zu den Freunden wie Johannes Molzahn, Mart Stam, Willi Baumeister oder Richard Scheibe. Ein Artikl in der „Art d‘ aujourd’hui“ führte zur Wiederentdeckung des Künstlerpaares. Sie fanden nun internationale Beachtung und beteiligten sich an Ausstellungen im In- und Ausland.
1971 starb Ella Bergmann-Michel in Vockenhausen und wurde dort beigesetzt. Nur einen Monat später kam der Enkel Philipp Michel auf die Welt. Auch seine Eltern waren bekannte Künstler: Hans Michel ein bekannter Grafiker und Professor in Hamburg und Schwiegertochter Sünke Michel eine vielseitige Fotografin und Dokumentar-Filmerin.
Die Arbeiten von Ella Bergmann-Michel und Robert Michel sind heute international in bedeutenden Museen und Ausstellungen vertreten und werden im Kunsthandel hoch taxiert.
In Eppstein organisierte der Kulturkreis drei Ausstellungen zum Andenken an das bekannte Künstlerpaar. Im Burgmuseum/Stadtarchiv Eppstein befinden sich Grafiken, eine Collage und ein Druck von Robert Michel, ein Druck von Hans Michel sowie Kopien der Filme von Ella Bergmann- Michel, dazu Ausstellungsmaterialien und Kataloge zum Einsehen.
1997 ließ der Verschönerungsverein Eppstein ein Denkmal zur Erinnerung an die Schmelz und das dort lebende bedeutende Künstlerpaar durch den Künstler Walter Hertel fertigen, das gegenüber der Schmelz an der B 455 steht.
2012 wurde der Rad- und Spazierweg im Goldbachtal in Vockenhausen in Bergmann-Michel-Weg umbenannt. Dort, wie auch an der Schmelz, an Robert Michels Geburtshaus in der Taunusstraße und auf dem Friedhof erinnern Infotafeln an das Künstlerpaar.
Ab 2022 entsteht im Auftrag der Familie durch die Pariser Galerie Eric Mouchet ein ausführliches Verzeichnis aller Werke in öffentlichen und privaten Sammlungen weltweit und eine Dokumentation ihres künstlerischen Schaffens.
2022 wurde das Kunstwerk der Eppsteiner Künstler Kai Wolf zur Erinnerung an Ella Bergmann-Michel und Robert Michel am Stadtbahnhof eingeweiht.
Monika Rohde-Reith
Die Spezialität von Kai Wolf ist die Kinetische Kunst. Er entwirft bewegliche Objekte und Maschinenskulpturen, die elektrisch angesteuert in Bewegung und Klang versetzt werden. Er integriert in seine Kunstwerke benutzte Gegenstände, die durch ihre historische Bedeutung aufgeladen sind. Diese Gegenstände erzählen bereits ihre eigene Geschichte und wirken wie eine kunstethnologische Reise durch die wichtigsten Aspekte der menschlichen Kulturgeschichte.
Kai Wolf verwendet einerseits antike Gegenstände, andererseits moderne Technik und Elektronik. Polaritätsbeziehungen werden deutlich: die Polarität zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Magie und Wissenschaft, die Verbindung von Relikten archaisch wirkender Kulturformen mit naturwissenschaftlichen Errungenschaften.
Seine kinetischen Objekte transformieren die Zeitwahrnehmung und fordern den Betrachter auf, meditativ zu verweilen, die langsamen Bewegungen zu verfolgen, den Klängen zu lauschen, Assoziationen schweifen zu lassen und die Zeit regelrecht zu vergessen. Die Zeit - das will Wolf zeigen - ist das, was vergeht und zugleich als Einziges unvergänglich ist. Zeit ist das, was fortschreitet und dabei doch stets bleibt. Zeit ist das einzig Unvergängliche.
Zwischen Kai Wolf und dem Michel Künstlerpaar gibt es einige Parallelen. Kai Wolf lebt auch in Eppstein und hat dort die meiste Zeit seines künstlerischen Schaffens verbracht.
Aber was noch bemerkenswerter ist: seine mit Mechanik versehenen und in eine antik anmutende Ästhetik verhüllten Kunstwerke erinnern oft an Bilder von Robert Michel. Die Skulpturen scheinen regelrecht ein ins dreidimensionale und in Bewegung gebrachtes Äqivalent zu sein.
Kai Wolf hat für seine Gestaltung der Vorderseite des Denkmals gezielt Bilder von Robert Michel als Vorbild genommen: Elemente aus der Serie „MEZ (Mitteleuropäische Zeit)“, Maschinenteile aus „Gezeitenhebel“, Uhrwerkliches aus „Ri.Ra.(Rutsch)-Mechanik“, Zahnräder, Buchstaben und Zahlen aus „MANN-ES-MANNBILD oder „Propeller-Wind“ sowie verspielte und humorvolle Elemente aus „Schützenfest“.
Es tauchen auch antike Lokomotiven-Modelle auf, die nicht nur ein häufig verwendetes Motiv von Robert Michel sind, sondern auch eine Anspielung auf den Standort Eppsteiner Bahnhof darstellen.
Die Rückseite des Denkmals ist eine Hommage an Ella Bergmann-Michel. Deutliche Parallelen zu der Grafik „OB 197“ sind zu erkennen, sowohl ästhetischer, als auch inhaltlicher Natur.
Ella Bergmann-Michels Bilder zeichnen sich durch eine visionäre Gabe aus, manchmal könnte man meinen, sie konnte die Zukunft voraussehen. In ihren Bildern tauchen wissenschaftliche, moderne und technische Elemente auf, die zuweilen an Solarzellen oder Satelliten erinnern. Dementsprechend hat Kai Wolf die Rückseite wesentlich konstruktivistischer gestaltet und mit Solarzellen versehen. Zukunftsweisende Bilder wie „Prismatik. OB 209“, „Portrait de rayons. B 177“ und „B 167“ standen Pate für die ästhetische Gestaltung der Ella Bergmann-Michel Seite des Denkmals.
Die Photovoltaik auf Ellas Seite versorgt dann wiederrum die Robert Seite mit Strom, so dass sich mechanische Elemente, Uhrwerke, Zahnräder, Klangspiralen und Glocken auf verspielte Art in Bewegung versetzen. Ella treibt Robert an!
Auf diese Art und Weise wird das Gesamtkunstwerk zur „Composition with Machine in Motion“ (Ella Bergmann-Michel 1923).
Der Titel der Hommage „Eppsteiner Zeit“ ist eine Anspielung auf die Zeit, die Ella Bergmann-Michel und Robert Michel in Eppstein verbracht haben. Er verweist aber auch auf die sich bewegenden Uhrwerk-Elemente und die damit verbundene Transformation der Zeitwahrnehmung.
Kai Wolf
www.kaiwolf.info
Karin Orchard: Heimatmuseum of Modern Art. Ein Netzwerk zwischen tiefer Provinz und internationaler Avantgarde, in: Ella Bergmann-Michel und Robert Michel. Ein Künstlerpaar der Moderne. Sprengel Museum Hannover, 2018, S. 51-104 und Biografie S. 166-173.
Michael Honecker, Eric Mouchet: Ella Bergmann-Michel & Robert Michel. Le Progrès à bras-le-corps. Galerie Eric Mouchet, Galerie Zlotowski, Paris 2018.
Norbert Nobis, Ute Pollmann: Ella Bergmann-Michel 1895-1971. Collagen, Malerei, Aquarelle, Zeichnungen, Druckgraphik, Fotos, Reklame, Entwürfe. Sprengel Museum Hannover, 1990.
Bertold Picard: Vockenhausen. Eine Ortsgeschichte in Bildern und Dokumenten, HG: Interessengemeinschaft 775-Jahrfeier Vockenhausen, 2008, S. 157-162.