Jahresrückblick 2023 – Bürgermeister Alexander Simon


Lieber Eppsteinerinnen und Eppsteiner,

 

zur Tageszeitung zu greifen bedeutet derzeit, sich mit dem Schrecklichen auseinander zu setzen, das auf der Welt wütet. Menschen, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, wissen, dass es durchaus noch schlimmer kommen kann. Die Avantgarde-Künstlerin Ella Bergmann-Michel beschreibt die Kriegsjahre und ihre Gedanken zu den Ereignissen in ihrem Tagebuch „Briefe in die Nacht“. Mit ihrer Familie wohnte sie in der Vockenhäuser Schmelzmühle. Die Propaganda aus dem Radio war ihr unerträglich, die Berichte über die deutsche Bombardierung ihres geliebten Londons zermürbten sie, die Angst um den Sohn an der Front, eisige Winter, nächtliche Alarme und Überflüge plagten sie. Aber immer wieder beschrieb sie auch Positives: den Mond über dem zugeschneiten Hof, der Gesang der Kriegsgefangenen, ihre Kaninchen, die sie aufheiterten. Es war eine Zeit des Ausharrens, Versteckens, Untertauchens. Den Briefkontakt zu ihren Freunden im Ausland hielt sie über die Schweiz aufrecht. Sie und ihr Mann Robert Michel hatten Berufsverbot. Selbst in der Abgeschiedenheit der Schmelz vermochte sie nicht immer zu zeichnen, denn die Situation im nationalsozialistischen Deutschland lähmte sie. „Wie in der letzten Reihe“ sitzend fühlte sie sich als „Zuschauer eines großen schrecklichen Theaters“, des Zweiten Weltkrieges.

Auch wir beobachten, allerdings aus dem Komfort eines friedlichen Europas, das Weltgeschehen, das im vergangenen Jahr noch einmal gefährlicher und unberechenbarer geworden zu sein scheint. Doch verbreiten sich Hass und Gewalt auch in unserem friedlichen Leben und fordern unsere Demokratie und unsere Werte heraus.

Gerade jetzt ist es wichtig, dass wir Stellung beziehen und als Gesellschaft zusammen halten, auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind. Welche Kraft davon ausgeht, wenn ganz verschiedene Bürgerinnen und Bürger, Vereine oder Organisationen an einem Strang ziehen, kann man in Eppstein immer wieder erfahren.

Da ist die Initiative Asylkreis Eppstein, die im vergangenen Jahr zum Verein wurde und Großes für geflüchtete Menschen leistet, die in Eppstein ankommen. Da sind Menschen, die sich mit viel Liebe um ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger kümmern oder Vereine, die einen großen Beitrag für die Jugendarbeit leisten. Da entwickelte 2023 die Altstadt-Initiative eine Lauschtour vom Stadtbahnhof bis auf die Burg, die Touristen mittels Smartphone Geschichte und Geschichten zu Eppstein vermittelt. Oder die ehrenamtliche Digital-Lotsen: Sie kümmern sich einmal im Monat um Bürgerinnen und Bürger, die Hilfe bei der Nutzung von Tablets oder Smartphones benötigen. Da sind Vereine, etliche Stiftungen oder Initiativen wie „Eppstein blüht“, Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, Beete bepflanzen und Wege pflegen, Vereine mit Leben füllen, Vorstandsarbeit leisten, Kinder trainieren, für die Vereine bei Märkten und Festen am Grill oder in Buden stehen und unser Leben bereichern.

Im vergangenen Jahr gab es wieder ein Fair-Trade-Frühstück und erstmals einen interkulturellen Mitbring-Brunch. Neu war auch das Streckenfest zum Radrennen am 1. Mai in der Eppsteiner Altstadt. Da sind Künstlerinnen und Künstler, die in ihrer freien Zeit zehn unserer Syna-Kästen bemalt haben und uns allen damit viel Freude bereiteten. Da sind unsere Burgschauspieler, unsere Chöre und Musiker, die uns bei den Burgfestspielen, dem Treffen mit unseren Partnerstädten, bei Empfängen und Feierlichkeiten verzauberten.

Rund 3500 Zuschauerinnen und Zuschauer erlebten 2023 die Eppsteiner Burgfestspiele und deren ganz besondere Atmosphäre. Unsere Musikschule Eppstein-Rossert konnte endlich ihr 50-jähriges Jubiläum nachholen. Zum Herbstmarkt, Burgfest, den Führungen und dem Kaisertempelfest kamen die Menschen wieder zusammen.

Nach der Zeit der Ungewissheit, der Isolation und der Vorsicht konnten wir uns wieder zu Konzerten, Lesungen und Festen treffen und lernen nun mit Corona umzugehen. So gab es 2023 bei den Europa-Wochen eine Eppsteiner Beteiligung. Burgschauspieler und kleine Nachwuchstalente spielten für Kinder und Erwachsene europäische Märchen nach. Beim Osterspaziergang thematisierte das Burgmuseum die Revolution des Jahres 1848. In die Rolle der Revolutionäre schlüpften die Burgschauspieler, und der älteste noch bestehende Gesangsverein, der Vockenhäuser Sängerbund von 1851, stimmte das Freiheitslied an.

Leider hat sich 2023 auch wieder ein engagierter Verein aufgelöst: Den Hausfrauenverband gibt es nun nicht mehr. Die Vereine aber, so lernten wir aus dem Revolutionsjahr 1848, sind Träger der Demokratie und Stütze unserer Gesellschaft. Daher danke ich allen, die mit allen Kräften unsere Vereine in Eppstein beleben und erhalten.

Viel getan hat sich im vergangenen Jahr auf der Burg. Zum Abschluss der Sanierungsarbeiten des Bergfrieds wurden am Wetterhäuschen auf der Aussichtsplattform vier Infotafeln angebracht, die auf Sehenswürdigkeiten wie den Kaisertempel oder den Bergpark Villa Anna hinweisen. Doch die Sanierung der Burg geht weiter. Das Gerüst steht nun an der nördlichen Mantelmauer. Bis zum Sommer wird die Mauerkrone saniert, die durch von oben eindringende Feuchtigkeit geschädigt ist. Auch die Sanierung des Bettelbubs konnte im vergangenen Jahr abgeschlossen werden. Im Obergeschoss gibt es jetzt – seit 115 Jahren wieder – eine museale Installation. Der Raum, in dem 1908 das Museum gegründet wurde, ist nun für die Öffentlichkeit erlebbar. Und noch ein Projekt konnte auf der Burg abgeschlossen werden: Eine neue Treppe führt im Ostzwinger auf den Mainzer Keller, damit die Tribüne für die Burgfestspiele und das Burgfest genutzt werden kann.

Weniger prominent aber notwendig sind Arbeiten für den Hochwasser- und Starkregenschutz im Stadtgebiet. Die Stadt Eppstein verfügt nun über Fließpfadkarten, die der Magistrat im Oktober 2021, also nach der verheerenden Hochwasserkatastrophe an Ahr und Erft, beim Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie bestellt hat. Aktuell werden die Starkregen-Gefahrenkarten erstellt, ein erster Entwurf wird Ihnen in diesem Jahr zur Diskussion vorgestellt. Starkregen im Juni, Waldbrandgefahr im Sommer und starker Schneefall und durch Schneelast brechende Bäume Ende November stellten die Feuerwehr vor zusätzliche Herausforderungen. Daher danke ich allen Einsatzkräften herzlich für ihre Arbeit. Gut ist, dass wir jetzt eine Unwetterzentrale im Eppsteiner Feuerwehrhaus haben, die bei Bedarf eingerichtet werden kann.

Vor Herausforderungen stellte Anwohnerinnen und Anwohner aber auch die Baufirmen die Sanierung der engen Cuntzstraße. Alles verlief nach Plan, und die Straße, die nach der einstigen Anwohnerin Pauline Cuntz benannt ist, die dort größtenteils auf ihre Kosten die erste Wasserleitung anlegen ließ, hat nun eine neue Wasserleitung, neue Kanäle, Hausanschlüsse und eine neue Straßendecke. Saniert wurden auch der Weg hoch zum Kaisertempel und ein Teil der Wiesbadener Straße, welche in die Zuständigkeit von Hessen Mobil fällt. In Absprache konnten wir hier die größten Schäden beseitigen lassen. Gesperrt werden musste, sehr zum Bedauern der Menschen, die diesen Übergang täglich nutzten, die Fußgänger-Brücke über die B 455. Der Abriss der beschädigten Brücke wird sich allerdings verzögern, wie uns Hessen Mobil mitteilte.

Ein wichtiges Projekt für die Kinderbetreuung in Eppstein ist der Bau der neuen Kindertagesstätte an der Embsmühle. Nach mehrjähriger Suche, Diskussion und schließlich einstimmigem Festlegen des Standortes haben die Arbeiten zur Erschließung des Areals Mitte Oktober begonnen. Und noch ein Kinderwunsch erfüllt sich: 2024 wird der Spielplatz in der Wooganlage mit einer Ritterburg neu angelegt.

2024 gehen auch die Planungen für die beiden Radwege zwischen Eppstein und Bremthal und von Bremthal nach Wildsachsen weiter, die wir im Auftrag von Hessen Mobil betreiben. Ein großes Thema wird weiterhin die Gestaltung des Areals der früheren Sparkassenakademie in Vockenhausen bleiben. Wir werden uns dieser städtebaulichen Herausforderung mit der Eigentümerin, der GWH Gruppe, stellen: Ziel ist der Erhalt des Gebäudes.

Im Rahmen der Energiewende gibt es weitere Vorhaben auf kommunaler Ebene. So wollen wir mit Niedernhausen gemeinsam einen Windpark aufbauen. Dem Vorhaben stimmte bereits das Eppsteiner Stadtparlament einstimmig zu. Da sich in der Gemeindeversammlung Niedernhausen keine eindeutige Mehrheit abzeichnete, gab es dort einen Bürgerentscheid, der sich mit knapper Mehrheit für die Windkraft aussprach. Es ist ein Projekt, das mehrere Jahre der Planung bedarf.

Um auch die Jugend in die Entwicklung Eppstein einzubeziehen, ging Anfang 2023 das Projekt „Mach 5 – Jugend macht Eppstein“ an den Start. Es bietet jungen Menschen eine Plattform, die mehr Beteiligung am Stadtgeschehen ermöglicht. Ein erster Wunsch könnte bald in Erfüllung gehen, denn wir sind dabei, den neuen Bike-Parcours für Eppsteiner Jugendliche zu planen.

Vereinfachungen für Bürgerinnen und Bürger verspricht auch der Fortgang der Digitalisierung im Rathaus. Viele städtischen Dienstleistungen stehen bereits über die Onlineterminvergabe zur Verfügung, und auch das Ratsinformationssystem funktioniert komplett digital. Die E-Rechnung wurde eingeführt, und Bußgelder können online beglichen werden. Neu hinzugekommen ist im vergangenen Jahr das Software-Update der Stadtbücherei, das den Nutzerinnen und Nutzern ermöglicht, online im Bibliotheksbestand recherchieren zu können. Auch das Veranstaltungsmanagement wurde eingeführt und bereits für die Ferienspiele und weitere Angebote genutzt.

In dankbarer Erinnerung bleibt uns eine im vergangenen Jahr verstorbene Bürgerin aus Ehlhalten. Zur großen Überraschung hat sie ihr gesamtes Erbe der Stadt Eppstein vermacht, darunter Kunst, ihr Vermögen und ihre Wohnung. Wir alle sind ihr sehr dankbar. Dankbar bin ich auch, dass die Eppsteiner Politik Wort hielt und wir in großer Übereinkunft die Verwendung der Mittel von rund 1,4 Million Euro beschließen konnten. Der letzter Wille dieser Bürgerin hat mich sehr berührt, denn da war wieder genau diese Liebe zu Eppstein zu spüren, die Kraft, etwas Positives bewirken zu wollen.

Im kommunalpolitischen Leben ist im Dezember ein Bürger in die zweite Reihe zurückgetreten, der über 40 Jahre viel Herzblut in unser Zusammensein und das Leben in Eppstein gesteckt hat. Bernhard Heinz aus Niederjosbach war seit 1982 Stadtverordnetenvorsteher und hat mit seinem ausgleichenden Wesen zur politischen Kultur in Eppstein beigetragen. Dafür sind wir ihm sehr dankbar.

Verbunden ist damit auch meine Bitte, sich zu engagieren, mitzuwirken, Demokratie zu leben. In politischen Debatten geht es oft hoch her. Häufig ist dann in den Medien von „Streit“ oder „Zoff“ die Rede, was viele Bürgerinnen und Bürger verunsichert. Nein! Debattieren gehört zur Demokratie, wir sind dankbar für unterschiedliche Ansichten, die geäußert werden dürfen. Wir sind dankbar für ein Leben in Freiheit, das andere Staaten so bitterlich verteidigen müssen. 

Ella Bergmann-Michel durfte ihre Gedanken nur ihrem Tagebuch oder hinter verschlossenen Türen ihrer Familie anvertrauen. Ihr Dokumentarfilm über die letzten freien Wahlen 1932 wurde beschlagnahmt, die Künstlerin kurzzeitig verhaftet. Sie durfte ihre Eindrücke im nationalsozialistischen Deutschland nicht mehr mit der Kamera festhalten. Andersdenkende Menschen wurden zum Schweigen gebracht oder verhaftet. Setzen wir uns also dafür ein, dass es nie wieder zu einem solchen Unrechtsregime in Deutschland kommt.

Verbunden mit dem Wunsch nach Frieden in der Welt und einem friedvollen Zusammenleben wünsche ich Ihnen von Herzen ein gesegnetes und glückliches neues Jahr!

Vielleicht machen Sie ja anhand des im Bürgerbüro erhältlichen neuen Flyers einen Spaziergang zu den Lebensstationen von Ella-Bergmann-Michel und Robert Michel, der vom Stadtbahnhof bis zum Friedhof nach Vockenhausen führt, und entdecken, dass diese beiden großartigen Künstler ihre Arbeit nach 1945 wieder fortsetzen konnten.

Zum Neujahrsempfang der Stadt am Sonntag, 21. Januar, um 10.30 Uhr im Bürgerhaus Eppstein lade ich Sie herzlich ein.

Auf ein gutes Jahr 2024. Ich wünsche Ihnen alles Gute.

Ihr
Alexander Simon
Bürgermeister