Stadt: Ultranet-Verfahren willkürlich, unverhältnismäßig und nicht verfassungskonform


Die Stadt Eppstein hat sich mit Stellungnahmen, Resolutionen und Schriftsätzen in verschiedene Stadien des Verfahrens eingebracht.

Nach Abschluss der Bundesfachplanung und Entscheidung der Bundesnetzagentur hinsichtlich des 1.000 Meter breiten Korridors wurde mit dem weiteren Verfahrensschritt begonnen. Beim jetzt gegenständlichen Planfeststellungsverfahren geht es um die Auswahl der konkreten Trasse innerhalb des vorausgewählten 1.000 Meter breiten Korridors. In dem Anhörungsverfahren vertritt die Bundesnetzagentur die Auffassung zwei vorgeschlagene kleinräumige Verschwenkungen nicht prüfen zu müssen. Es müsse geprüft werden, ob eine Trassenabweichung von der Achse der Bestandstrasse im Einzelfall gerechtfertigt ist oder nicht. Auch nimmt die Bundesnetzagentur an, die Stadt müsse Untersuchungsunterlagen einbringen. Insgesamt wird dies seitens der Stadt als rechtsfehlerhaft eingestuft. Mit dem beigefügten Schreiben hat die Stadt sich in das Planfeststellungsverfahren eingebracht.

Untenstehend der Redebeitrag und die Stellungnahme von Bürgermeister Alexander Simon zum Planfeststellungsverfahren in Sachen Ultranet vor der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Eppstein am 6. Oktober 2022.

Hier geht es zum Anwaltsschreiben der Stadt Eppstein.


Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
sehr geehrte Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung, 
sehr geehrte Damen und Herren, 

es ist unüblich, eine solche Vorlage direkt in der Stadtverordnetenversammlung zu behandeln und erst im Nachgang eine Beratung in den betroffenen Ortsbeiräten und im Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt anzugehen. Hierfür bitte ich um Nachsicht, aber mit den uns gesetzten Fristen im Verfahren war kein anderer Beratungsgang möglich. 

Es geht um das Thema Ultranet. Mit insgesamt bereits 16 Vorlagen haben sich unsere Gremien beschäftigt. Wir informieren stets umfassend und transparent. 

Wo stehen wir? Nach Abschluss der Bundesfachplanung und Entscheidung der Bundesnetzagentur hinsichtlich des 1.000 Meter breiten Korridors, wurde mit dem weiteren Verfahrensschritt begonnen. Beim jetzt also gegenständlichen Planfeststellungsverfahren geht es um die Auswahl der konkreten Trasse innerhalb des vorausgewählten 1.000 Meter breiten Korridors. In diesem Verfahren melden wir uns mit dem aus der Vorlage ersichtlichen Anwaltsschreiben zu Wort. 

Konnte es im vorherigen Verfahren noch gelingen, den Korridor der Ultranet-Trasse in Eppstein zu unseren Gunsten anzupassen – das hat es bisher nur 2x in Deutschland gegeben – , so habe ich schon damals vor zu viel Euphorie und Applaus für diese Entscheidung gewarnt. Denn: bereits seinerzeit deutete vieles darauf hin, dass die Vorhabenträgerin Ultranet auf der Bestandstrasse durchsetzen möchte und kein Interesse an den eingebrachten Verschwenkungen hat. 

Und jetzt sieht es so aus, als würde es noch Schlimmer kommen: In dem Anhörungsverfahren vertritt die Bundesnetzagentur die Auffassung, zwei vorgeschlagene kleinräumige Verschwenkungen nicht prüfen zu müssen. Vorgelagert sei eine Prüfung, ob eine Trassenabweichung von der Achse der Bestandstrasse im Einzelfall gerechtfertigt sei oder nicht. Auch nimmt die Bundesnetzagentur an, die Stadt Eppstein müsse vertiefte Untersuchungsunterlagen einbringen.


Kritik 1: Beschränkung auf einen 200-Meter-Abstand oder die Spielregeln dürfen nicht mehr geändert werden

Die Bundesnetzagentur interpretieret den neuen § 18 Absatz 3b Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) dergestalt, dass im Falle der Existenz einer Bestandstrasse (wie beim Ultranetvorhaben im Bereich Eppstein) jedwede fachplanerische Variantenprüfung, die einen Abstand von 200 Meter zur bestehenden Trasse überschreitet, per se ausgeschlossen ist. Wir haben in dieser Sache sehr deutliche Zweifel an dieser äußerst strikten Interpretation des Gesetzes und an der Verfassungsmäßigkeit der diesbezüglichen Gesetzesänderung, die vor wenigen Monaten stattfand, vorgetragen. Die Variantenermittlung, -betrachtung und -abwägung ist seit jeher zentraler Bestandteil einer jeden fachplanerischen Abwägung. Das Abwägungsgebot ergibt sich dabei unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Und nun wird uns mitgeteilt: es liegt ein Verbot vor Varianten, die mehr als 200 Meter in ihrer Achse von einer Bestandstrasse abweichen, überhaupt nur planerisch in den Blick zu nehmen.

Unsere juristische Einlassung dazu folgt: Dies widerspricht nicht nur diametral sämtlicher bisheriger Fachplanungspraxis, sondern beschränkt die rechtsstaatliche und verfassungsmäßig erforderliche Abwägung auf ein letztlich marginales Minimum. 

Meine Einlassung als Bürgermeister dazu lautet: Hier soll guten Ideen und Vorschlägen der Kommune und der Bürgerschaft der Gar ausgemacht werden. Man hat bereits Angst vor einer inhaltlichen Prüfung, weil das Ergebnis nicht gefallen könnte. Stellen Sie sich mal vor: inmitten eines Skatspiels, die Blätter sind längst gegeben, das Reizen hat stattgefunden und das Spiel begonnen. Jetzt ändert ein Spieler einfach die Spielregeln und sagt: alle Buben gelten nicht mehr als höchste Spielkarten. 

Alle betroffenen Städte und die Bürgerschaft sind darauf eingestellt und haben darauf vertraut, dass die innerhalb des Korridors liegenden und von der Bundesfachplanungsentscheidung ausdrücklich und verbindlich für die Prüfung in der Planfeststellung vorgesehenen kleinräumigen Varianten, auch tatsächlich ernsthaft untersucht und in Betracht gezogen werden. Welchen anderen Sinn hätte denn dann das vorgelagerte Verfahren? Es wird ein 1.000 Meter breiter Korridor ausgewählt, aber eigentlich gelten nur 200 Meter links und 200 Meter rechts von der Bestandstrasse als Untersuchungsgebiet für möglich Alternativen. 

Einen fachlichen Grund, eine solche absolute Grenze bei 200 Meter zu setzen, wird nicht benannt und ist auch nicht ersichtlich. Klar ist aber, was es bedeutet: das ist eine Einschränkung des Abwägungsgebots zum Nachteil der von Ultranet betroffenen Menschen. Überall dort, wo das Schutzgut Mensch wegen der Nähe zur Trasse bereits jetzt stark betroffen ist, scheint nicht mehr zu interessieren, denn Vorschläge zur Konfliktminimierung, also mit einer Verlegung der Trasse über 200 Meter weiter weg, mag man sich nun nicht mehr beschäftigen. 

Das ist willkürlich, das ist unverhältnismäßig und damit nicht verfassungskonform. Und genau dies haben wir juristisch versiert vorgetragen. 


Kritik 2: Die Vorhabenträgerin hat die Nachweispflicht oder Hausaufgaben bleiben Hausaufgaben und werden nicht übertragen

Eine zweite Sache, die uns die Haare zu Berge stehen lässt, ist die Folgende. In der Anhörung zum Planfeststellungsverfahren fordert die Bundesnetzagentur rechtlich Unmögliches von der Stadt Eppstein. Wir wurden aufgefordert, innerhalb einer Frist, ergänzend und vertieft zum Vorliegen erheblicher Natura2000-Gebietsbeeinträchtigungen vorzutragen und eine artenschutzrechtliche Untersuchung vorzulegen. Überlegen Sie mal, was eine angemessene Frist für eine Beauftragung und Erstellung sowie Auswertung wäre. Kleiner Tipp: wir fragen Sie beim Tagesordnungspunkt 12, ob die überplanmäßige Bereitstellung von Haushaltsmitteln für die Erstellung einer Kartierung von Flora und Fauna für einen Radweg in Ordnung geht und tragen vor: das dauert ein Jahr und muss schnellstmöglich gestartet werden. Was glauben Sie, wie lange hat uns also die Bundesnetzagentur eine Frist für diese beiden hoch komplexen Sachfragen gesetzt? Ich sage es Ihnen: rund 3 Wochen! In der Zeit kann noch nicht einmal das Leistungsverzeichnis für eine zwingend zu erstellende öffentliche Ausschreibung zur Suche eines geeigneten Fachunternehmens zur Erstellung einer solchen Analyse festgelegt werden. Drei Wochen gibt uns die Bundesnetzagentur also Zeit. Diese Aufforderung verkennt auch – mal abgesehen von der frechen Fristsetzung – komplett die Verantwortlichkeiten: die Bundesnetzagentur als Planfeststellungsbehörde trifft der Untersuchungsgrundsatz. Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen, so heißt es in § 24 Absatz 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Dem kann man sich nicht entziehen und man kann auch nicht der Stadt Eppstein eine diesbezügliche Verantwortung zuschieben. Die Vorhabenträgerin hat die Nachweispflicht, dass ihre Planung weder europäische Schutzgebiete beeinträchtigt noch artenschutzrechtliche Verbotstatbestände verwirklicht, bzw., wenn doch, dass es keine zumutbare Alternative gibt. Deshalb muss die Bundesnetzagentur solche Gutachten und Ergebnisse von der Vorhabenträgerin einfordern. Diese „Hausaufgaben“ sind von dort zu erbringen. Es gilt: Hausaufgaben bleiben Hausaufgaben und werden nicht übertragen. Unsere diesbezügliche Erwartung haben wir ebenfalls in unserer Einlassung klar zum Ausdruck gebracht. Wir halten es für rechtswidrig, wenn wir aufgefordert werden, die Aufgaben anderer zu erledigen. 

Soweit mein heutiger verkürzter Bericht zum aktuellen Stand in dieser Angelegenheit. 

Alexander Simon
Bürgermeister